Mittwoch, 5. Dezember 2012

Trockenstoffel (1)

"Du bist ein trockener Stoffel!".  WUMS, das hatte gesessen. Wie eine Maschinengewehrsalve durchbohrte es ihn, schmerzhaft und ohne Vorwarnung. Erschrocken blickte er sie an. Doch sie wandte sich ab, verließ schweigend den Raum. Mit einem leisen Knacken fiel die Tür ins Schloß. Eine Klinke gab es nicht.

Hilflos blickte er sich um. Spärlich möbliert, eine kleine Glühbirne baumelte an einem losen Kabel über ihm. Ein Metalltisch, kalt und abweisend. Seine Schultern hingen schlaff nach unten. Er sah jämmerlich aus, schmächtig, mit eingefallenen Wangen und tiefen Augenrändern.
Und er war leer, ausgezehrt, eine Hülle ohne Inhalt.
Langsam erhob er sich, blickte aus dem schmutzig-grauen Fenster. Der Herbstwind spielte mit den kahlen Ästen des Apfelbaumes, trieb die wenigen Blätter auf dem Boden vor sich her. Und doch hatte dieses Bild Leben.
Ächzend ließ er sich auf den kleinen Hocker fallen.

Trocken, Stoffel...noch nie hatte ihm jemand so schonungslos die Wahrheit gesagt.
Wie vielen Menschen hatte er geholfen, ihnen den Weg gezeigt mit einer nüchternen, sachlichen Analyse ihrer Lebenssituation.
Nur sich selbst hatte er vergessen, vertrocknen und verstauben lassen.

Der Apfelbaum würde im nächsten Frühjahr neu erblühen, die Knospen würden sprießen und im Sommer wurden große, gelbe Äpfel an den Zweigen hängen. Im Frühherbst würden sie wie immer auf den Boden fallen und verfaulen.

Ob es für ihn noch ein Frühjahr geben würde...

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