an der Grenzlinie zwischen Leben und Tod
Gerhard Löffler ist Künstler. Er hat Preise gewonnen, studiert und sein
großer Traum war, irgendwann einmal von seiner Kunst leben zu können.
Heute bekommt er monatlich 400 Euro und weiß, dass jeder Tag sein
letzter sein könnte. Dem STERN hat der 38-jährige vor kurzem in einem
Interview einen Einblick in sein Inneres gewährt, der berührt und
verstört.
Löffler hat Krebs, einen Gehirntumor, der, wie er sagt, sein Gehirn
langsam auffrisst. In klaren Worten und schonungslos offen beschreibt
Löffler seinen Alltag, der ein täglicher Kampf ist.
Vor dem Interview hat er 42 Tabletten eingenommen, eine halbe Stunde hat
dies gedauert. Sein seelischer Zustand gleicht einer täglichen
Achterbahnfahrt, immer wieder muß er sich selbst für kleine Handlungen
motivieren. Entscheidungen fallen ihm schwer, beim Lesen verliert er
sich in den Schachtelsätzen.
Betroffen lässt mich eine Aussage des Künstlers innehalten. Er könne
eigentlich gar nicht begraben werden, weil er lebender Sondermüll sei
und den Boden mit dem vielen Gift, das er mit den Tabletten eingenommen
habe, kontaminieren würde. Lieber wäre es ihm, wenn er verbrannt und
seine Asche zu einem Diamanten gepresst würde. Diesen Ring könne seine
Freundin tragen, so wäre er weiterhin bei ihr.
Die Krankheit hat ihn verändert. Einen jungen Vogel, der aus dem Nest
gefallen ist, hat er begraben, um ihm ein würdevolles Ende zu bereiten.
Früher, so sagt er, hätte er ihn einfach im Müll entsorgt.
Mir fällt Christoph Schlingensief ein, der sein Krebsleiden öffentlich
zelebriert hat. Damit löste der Regisseur eine Debatte aus, ob dies
wirklich angebracht sei. Pietätlosigkeit wurde ihm vorgeworfen und dass
er geltungssüchtig sei.
Löffler möchte sein Begräbnis öffentlich zelebrieren. Darf er das?
Vor einigen Jahren führte ich mehrere Gespräche mit einem Krebskranken.
Sie begannen in einer Zeit, als er nach langer Chemotherapie glaubte,
den Dämon in seinem Körper besiegt zu haben. Er flog mit seiner Familie
in den Urlaub und lebte intensiver als jemals zuvor.
Doch der Dämon war stärker, er kam zurück, brutaler und schmerzhafter
als vorher. Seine Metastasen überwuchertern andere Organe, er breitete
sich immer mehr aus. Unsere Gespräche wurden ernsthafter, sie kreisten
darum, was das Leben ausmacht. Der von seiner Krankheit schwer
Gezeichnete sah angesichts des ihn bereits belauernden Todes das Leben
als fröhliches Spiel, bei dem nichts ausgelassen werden sollte. Leben,
so sagte er mir, soll Spaß sein, Lachen und mit ausgebreiteten Armen
fliegen.
Als er starb, verlor ich einen Freund, einen Menschen, mit dem mich mehr verband als nur diese Gespräche.
Er war nicht der einzige Krebskranke, mit dem ich sprechen durfte. Und
ausnahmslos alle zogen eine Konsequenz aus ihrem nahenden Lebensende,
lebt Leute, verliert Euch nicht in den Niederungen des Alltages, sondern
lebt. Und lebt Eure Träume, so lange Ihr es noch könnt.
Gerhard Löffler hat diese Einstellung verinnerlicht. Er hat seine
Krankheit zum Motiv seiner künstlerischen Arbeit erkoren. Ähnlich wie
dem genialen Regisseur Schlingensief ist ihm die Öffentlichkeit auch ein
Mittel, sein ihn aufzehrendes Leiden zu ertragen.
Und ja, aus meinen Gesprächen, aus einem Einblick in das Seelenleben von
Todgeweihten sage ich, sie dürfen diese Krankheit in die Öffentlichkeit
bringen, wenn sie es selber wollen.
Es ist, wie mir ein Krebskranker einmal sagte, ein Bindeglied in das
Leben, was ihn selber auch am Leben hält. Kein Zurückziehen in den
privaten Raum des Leides, der Verzweiflung und depressiven Phasen,
sondern ein optimistischer Blick in die Weite und auf die Schönheit des
Lebens.
Wenn Löffler davon spricht, er sterbe ja das erste Mal, so mögen diese
Worte verstörend und irritierend wirken. Sie zeigen aber einen Menschen,
der die Grenzlinie zwischen Leben und Tod für sich angenommen hat und
ihr immer näher kommt.
Es ist ein berührendes Zeitzeugnis, das der STERN hier abdruckt, ein
ungeschönter, brutaler und auch verstörender Blick an die Nahtstelle
zwischen Leben und Tod.
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